Kommentar von Seiten der ehemaligen Bürgerkomitee/ostdeutschen Aufarbeitungsvereinen.
Offener Brief zu Abwicklung der Stasi-Unterlagenbehörde/ Tagesordnung des Deutschen Bundestages 19.11.2020
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Budde, sehr geehrte Mitglieder des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages,
mit Interesse aber auch Bestürzung haben wir die erste Lesung und Anhörung zur Überführung der Stasi-Unterlagenbehörde ins Bundesarchiv verfolgt. Wie Ihnen bekannt, gibt es gerade in den ostdeutschen Regionen und unter ehemaligen Bürgerrechtlern und Stasi-Auflösern große Skepsis gegenüber der Gesetzesvorlage und den Plänen, die Stasi-Unterlagenbehörde aufzulösen. Mehrere von uns uns haben dies schon in 2019 in einer Unterschriftensammlung kund getan. Nunmehr mussten wir feststellen, dass Sie zu Ihrer Anhörung keinen einzigen der z.T. sehr profilierten Kritiker eingeladen haben. Auch das wissenschaftliche Beratungsgremium, das der Bundestag erst vor ein paar Jahren geschaffen hat, wurde nicht gehört. Eingeladen wurde auch kein einziger Verein, der in der Tradition der damaligen Bürgerkomitees bzw. Auflösungsgruppierungen steht, kein einziges NGO aus den ostdeutschen Regionen. Die was 1991 bei der Entstehung des StUG und der entsprechenden Anhörung noch vollkommen anders.. Wir sehen darin eine Missachtung der zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungsaktivitäten, die überhaupt erst die Stasi-Akten gesichert haben und seither für nicht wenige Aufarbeitungsaktivitäten initiiert und durchgeführt haben. Wir fordern daher, gehört zu werden. Auch im Gesetzesentwurf vermögen wir keine wirkliche Absicherung unserer Aktivitäten zu erblicken. Manche unserer Vereine sind auch Träger von Gedenk- und Erinnerungsorten. Wir sind besorgt, dass durch die in der Vorlage beschriebenen Strukturentscheidungen den Regionen Symbole der friedlichen Revolution entzogen werden und die Aufarbeitung ausgedünnt werden könnte.
Wir unterstützen daher die Stellungnahme, die ihnen in einer Vorfassung bereits vorlag und würden Sie bitten, im Rahmen der 2. und 3 Lesung unsere Überlegungen ernsthaft anzuhören, zu prüfen und einzubeziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Ilona Rau, Gerhard Klinkert, Claus Lippmann, Bernd Kuska, Dresden, ehemals Mitglieder des Bürgerkomitee Bautzener Strasse e.V.
Henry Krause, Dresden, "Erkenntnis durch Erinnerung" (EdE), Trägerverein der Gedenkstätte Bautzner Str.in Dresden
Anne Kupke-Neidhardt, Halle,
Projektleiterin Zeit-Geschichte(n) e.V. Halle – Verein für erlebte Geschichte
Christian Booß, Berlin, Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar e.V.
Manfred Kruczeck, Potsdam, FORUM zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg e.V." erfolgen, wobei hinter meinem Namen auch noch "Mitbegründer des Potsdamer Bürgerkomitees zur Stasi-Auflösung"
Christoph Polster, Cottbus, Initiative Aufarbeitung, Cottbus
Matthias und Barbara Sengewald, Erfurt, Gesellschaft für Zeitgeschichte
Martin Montag, Suhl, Bürgerkomitee Thüringen
Stellungnahme von Aufarbeitungsvereine zur Abwicklung der Stasi-Unterlagenbehörde durch den Bundestag
30. Oktober 2020
Der Bundestag will mit dem am 30. 10. eingebrachten Gesetz die Stasi-Unterlagenbehörde endgültig abschaffen, die Akten ins Bundesarchiv überführen. Die Abschaffung des Stasi-Unterlagenbeauftragten ist keine Weiterentwicklung, sondern eine Zäsur in der Aufarbeitung der Geschichte der SED-Diktatur. Der geplante Opferbeauftragte ist kein Ersatz, sondern ein völlig neues Amt. Die sogenannte Gauck-Behörde entstand infolge von Bürgerprotesten und Aktionen, die die Stasi lahm legten, auflösten, einen großen Teil der Akten sicherten und kurz vor der deutschen Einheit eine Sonderbehörde, die „Gauckbehörde“, erkämpften. Diese war daher, allen bürokratischen Problemen zum Trotz, vor allem in den Regionen, in denen die Bürger 1989/90 besonders aktiv waren, und im Ausland auch ein Symbol für zivilgesellschaftliches Engagement in Ostdeutschland. Insofern ist es unverständlich, dieses abzuschaffen und die Akten in eine zwar fachlich renommierte Behörde zu geben, die aber keinen speziellen Bezug zu dieser Geschichte hat. Auch hatte die Stasi-Unterlagenbehörde einen aktiven Aufarbeitungsauftrag, ein Archiv ist der Natur nach ein passiver Dienstleister. Zu kritisieren ist, dass NGOs, die in Tradition der Stasi-Auflösung stehen, nicht in die Umstrukturierungsdiskussionen einbezogen waren und sind.
Der Gesetzesentwurf ist zwar deutlich nachgebessert worden, es gibt dennoch Klärungsbedarf und Unsicherheiten:
1. Die Akten sollen mittelfristig an nur noch 6 Standorten in Ostdeutschland konzentriert werden. Damit verlieren 7 Regionen, die an deren „Eroberung“ beteiligt waren, die Akten. Sie spielen nach wie vor eine wichtige Funktion Rolle ???in der regionalen Identitätsbildung. Insofern ist zu begrüßen, dass jetzt alle Standorte benannt werden. Gerade angesichts der derzeitigen Demokratieverdrossenheit wäre es ein falsches Signal, wenn hier die Kapazitäten der Aufarbeitung abgebaut werden. Der Bildungsauftrag der Außenstellen ist jedoch nicht klar formuliert.
2. Die Akten in den Außenstellen der Stasi-Unterlagenbehörde sind überwiegend nicht klimatisiert gelagert und daher vom Verfall bedroht. Dieses Versäumnis der letzten Jahre muss unabhängig von den langwierigen und teuren Neubauplänen zeitnah durch Nachrüstung von Klimaanlagen beseitigt werden. Dabei geben wir zu bedenken, dass in der derzeitigen finanziellen Situation (Coronabedingte Milliarden-Ausgaben), es doch noch einmal zu überlegen wäre, die Standorte der Archive in den Außenstellen zu belassen und mit schätzungsweise einem Zehntel der Ausgaben für Neubauten, diese zu klimatisieren.
3 . Es wird neu das Amt eines Opferbeauftragten geschaffen. Auch wenn der jetzige Entwurf besser dessen Aufgaben konturiert, ist darauf zu achten, dass es auf die eigentlichen Aufgaben der Opferunterstützung fokussiert. Der Opferbeauftragte soll nicht zum heimlichen Aufarbeitungsbeauftragten mutieren. Seine Verzahnung mit den Länderinstitutionen, die für die Opferentschädigung zuständig sind, ist nicht klar. Dass diese ihn unterstützen sollen, aber nicht umgekehrt, ist nicht nachvollziehbar. Warum der Opferbeauftragte nur mit Bürgerarchiven nicht mit allen themenrelevanten Vereinigungen kooperieren soll, ist nicht nachvollziehbar.
4. Warum ausgerechnet ein Opferbeauftrager bei der Überprüfung von Stasibelastungen im Öffentlichen Dienst beratend tätig werden soll, erschließt sich nicht. Hier werden dem Opferbeauftragten Restposten aus der Auflösung des Bundesbeauftragen unsystematisch draufgesattelt.
5. Das rechtliche Problem, dass nunmehr ein weisungsgebundener Archivar die Letztentscheidung über die Stasi-Unterlagen hat, die nach wie vor nicht den rechtlichen Status von Archivgut haben, ist nicht gelöst. Das sollte juristisch geprüft werden.
6. Das Gesetzesvorhaben berücksichtigt nicht den inzwischen bestehenden Modernisierungs- und Reformbedarf beim StUG, z.B. beim Status der Nomenklaturkader, bei Sachakten, VS-Schriftgut, bei Abgabe von Akten an Nachrichtendienste, Sperrklausel, etc..
7. Der letzte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen hat faktisch die Forschungsabteilung seiner Behörde schrittweise aufgelöst. Das Bundesarchiv kann und wird diese Lücke nicht füllen. Archivforschung ist kein Ersatz. Der Bundestag hat es versäumt, für die Kontinuität der Geheimdienstforschung, etwa durch Förderung eines Lehrstuhles für vergleichende Geheimdienstgeschichte abzusichern.
8. Der Bundestag will weiterhin die computergestützte sogenannte virtuelle Rekonstruktion von Akten, die die Stasi teilweise zerrissen hat. Faktisch ist das Projekt so gut wie tot, seit 4 Jahren ist keine einzige Akte elektronisch zusammengesetzt worden. (s. PM vom 29.10.2020). Der Bundestag hat es versäumt, außer verbalen Bekundungen etwas dafür zu tun, dass das Projekt auch praktisch wieder fortsetzt wird.
Verantwortlich:
Dr. Christian Booß
Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar e.V.
bueko_1501_berlin@web.de
Computergestützte Zusammensetzung von Stasi-Akten so gut wie tot.
Berliner Aufarbeitungsverein deckt Etikettenschwindel auf.
Pressemitteilung 30.10.2020
Das international beachtete Projekt der Stasi-Unterlagen-Behörde, zerrissene Stasi-Akten per Computer zusammensetzen zu lassen, ist offenbar am Ende. Dies ergibt sich aus Recherchen des Aufarbeitungsvereins Bürgerkomitee 15. Januar e.V.. Seit 2016 ist keine einzige Akte mehr elektronisch zusammengefügt worden. Von geplanten 400 Säcken mit zerrissenem Material liegen bislang ganze 23 vor. „Die Jahn-Behörde täuscht die Öffentlichkeit und das Parlament seit Jahren über den faktischen Stillstand der virtuellen Rekonstruktion.“ Inzwischen haben fast alle Projektexperten beim Fraunhofer Institut (IPK) mit ihrem Spezialwissen das Team verlassen, am Jahresende geht der langjährige Projekteiter und Initiator in den Ruhestand. „Der Bundestag fordert in dem Antrag vom 27.10.2020 zwar die Fortsetzung des Projektes, sagt aber nicht wie. Wenn er jetzt nicht schnell eingreift, ist das Stasi-Puzzle ist so gut wie tot.“ So Christian Booß vom Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15.Januar e.V.
Die Software von 2012 ist inzwischen nicht mehr zeitgemäß und müsste neu bearbeitet werden. 2 Millionen Euro, die der Bundestag vor Jahren zur Fortsetzung des Projektes bewilligt hat, werden von der Jahn-Behörde seit Jahren nicht freigegeben. Sie sollten für einen neuen Scanner bereit gestellt werden, den das Fraunhofer Institut auf eigene Kosten entwickelt hatte, um mit einer höheren Auflösung bessere Ergebnisse bei der elektronischen Zusammensetzung von Aktenschnipseln zu erzielen. Mit seiner Technologie macht das Institut inzwischen weltweit Furore, nur das Projekt der Stasi-Unterlagenbehörde hängt. Seit Jahren streiten das Fraunhofer Institut in Berlin (IPK) und die Stasiunterlagenbehörde über Restzahlungen und den Fortgang des Projektes. „Die Sache scheint so verfahren, dass es offenbar ohne einen externen Schlichter nicht mehr weitergeht.“
Gegen die Zusammensetzung von Akten, die Stasi-Mitarbeiter in der Wende zerrissen hatten, um Beweismaterial zu vernichten, hatten sich in der Verwaltung schon immer Widerstände geregt. Es wurden nie die Ergebnisse der Aktenzusammensetzung wirklich qualifiziert offengelegt. Betroffenenakten wurden so gut wie nicht rekonstruiert. Zum Teil sind kaum erfüllbare technische Anforderungen an das Projekt gestellt, worden, was den Aufwand und die Kosten immer weiter vergrößerte. Auch waren immer neue Hürden bei der Vertragsgestaltung aufgebaut worden. Verhandlungen ziehen sich immer wieder über Monate hin. „Die Jahn-Behörde hat das Projekt versanden lassen, dass das Getriebe zum Stehen gekommen ist.“
Verantwortlich:
Dr. Christian Booß
Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar e.V.
bueko_1501_berlin@web.de
Der Gesetzesentwurf ist zwar deutlich nachgebessert worden, es gibt dennoch Klärungsbedarf und Unsicherheiten:
1. Die Akten sollen mittelfristig an nur noch 6 Standorten in Ostdeutschland konzentriert werden. Damit verlieren 7 Regionen, die an deren „Eroberung“ beteiligt waren, die Akten. Sie spielen nach wie vor eine wichtige Funktion in der regionalen Identitätsbildung. Insofern ist zu begrüßen, dass jetzt alle Standorte benannt werden. Gerade in Zeiten angesichts der derzeitigen Demokratieverdrossenheit wäre es ein falsches Signal, wenn hier die Kapazitäten der Aufarbeitung abgebaut werden. Der Bildungsauftrag der Außenstellen ist nicht klar formuliert. Wenn diese regional kooperieren sollen, müssen insbesondere die NGOs entsprechend finanziell ausgestattet werden.
2. Die Akten in den Außenstellen der Stasi-Unterlagenbehörde sind überwiegend nicht klimatisiert gelagert und daher vom Verfall bedroht. Dieses Versäumnis der letzten Jahre muss unabhängig von den langwierigen und teuren Neubauplänen zeitnah durch Nachrüstung von Klimaanlagen beseitigt werden.
3 . Es wird neu das Amt eines Opferbeauftragten geschaffen. Auch wenn der jetzige Entwurf besser dessen Aufgaben konturiert, ist darauf zu achten, dass es auf die eigentlichen Aufgaben der Opferunterstützung fokussiert. Der Opferbeauftragte soll nicht zum heimlichen Aufarbeitungsbeauftragten mutieren. Seine Verzahnung mit den Länderinstitutionen, die für die Opferentschädigung zuständig sind, ist nicht klar. Dass diese ihn unterstützen sollen, aber nicht umgekehrt, ist nicht nachvollziehbar. Warum der Opferbeauftragte nur mit Bürgerarchiven nicht mit allen themenrelevanten Vereinigungen kooperieren soll, ist nicht nachvollziehbar.
4. Warum ausgerechnet ein Opferbeauftrager bei der Überprüfung von Stasibelastungen im Öffentlichen Dienst beratend tätig werden soll, erschließt sich nicht. Hier werden dem Opferbeauftragten Restposten aus der Auflösung des Bundesbeauftragen unsystematisch draufgesattelt.
5. Das rechtliche Problem, dass nunmehr ein Weisungs-gebundener Archivar die Letztentscheidung über die Stasi-Unterlagen hat, die nach wie vor nicht den rechtlichen Status von Archivgut haben, ist nicht gelöst.
6. Das Gesetzesvorhaben berücksichtigt nicht den inzwischen bestehenden Modernisierungs- und Reformbedarf beim StUG, z.B. beim Status der Nomenklaturkader, bei Sachakten, VS-Schriftgut, bei Abgabe von Akten an Nachrichtendienste, Sperrklausel, etc..
7. Der letzte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen hat faktisch die Forschungsabteilung seiner Behörde zerstört. Das Bundesarchiv kann und wird diese Lücke nicht füllen. Archivforschung ist kein Ersatz. Der Bundestag hat es versäumt, für die Kontinuität der Geheimdienstforschung, etwa durch Förderung eines Lehrstuhles für vergleichende Geheimdienstgeschichte abzusichern.
8. Der Bundestag will weiterhin die computergestützte sogenannte virtuelle Rekonstruktion von Akten, die die Stasi teilweise zerrissen hat. Faktisch ist das Projekt so gut wie tot, seit 4 Jahr ist keine einzige Akte elektronisch zusammengesetzt worden. (s. PM vom 29.10.2020). Der Bundestag hat es versäumt, außer verbalen Bekundungen etwas dafür zu tun, dass das Projekt auch praktisch wieder fortsetzt wird.
Verantwortlich:
Dr. Christian Booß
Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar e.V.
bueko_1501_berlin@web.de