Geschichte lässt sich nicht abwickeln - Zum Plan der Regierungskoalition, die Stasi-Unterlagenbehörde abzuwickeln
Erklärung von über 40 ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern, bei der Stasi-Auflösung und in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte Engagierten
Stand 9.9.2019
Ausgerechnet im 30. Jahr des Mauerfalls und der Friedlichen Revolution planen Bundestag und Bundesrat die Abwicklung der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU). Diese Institution gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der Bürgerbewegungen in der DDR in den Jahren 1989/90, der vielen Runden Tische, von Demonstrationen und Besetzungen früherer Staatssicherheitsgebäude. Die Aufgabe der BStU war und ist die Sicherung der Akten und sonstigen Unterlagen der Staatssicherheit, die Einsicht für die von Stasi-Maßnahmen Betroffenen in ihre Akten und die Zurverfügungstellung der Stasi-Unterlagen für die historische Aufarbeitung und Forschung. Die Bundesregierung hingegen verfolgte schon damals den Plan, die Akten ins Bundesarchiv zu geben, um sie so unter Kontrolle zu haben. Ein Hungerstreik, Unterschriftensammlungen, Petitionen aus den Regionen und eine Resolution der frei gewählten DDR-Volkskammer verhinderten dies jedoch. Der deutsch-deutsche Einigungsvertrag sah schließlich die Sicherung der Akten in der BStU-Sonderbehörde vor.
Die Standorte in den ehemaligen Bezirksstädten (Neubrandenburg, Schwerin, Rostock, Halle, Magdeburg, Frankfurt/O, Chemnitz, Dresden, Leipzig, Suhl, Erfurt, Gera), wo couragierte Bürgerinnen und Bürger im Dezember 1989 die Stasi-Bezirksverwaltungen besetzten bzw. zu sichern halfen, sollen jetzt „umstrukturiert“ werden. Sieben Orten sollen die damals unter hohen Risiken erkämpften Akten jetzt entzogen werden. Was mit den Außenstellen insgesamt werden soll, ist vollkommen ungewiss. Obwohl unklar ist, welche Vor- und Nachteile dies mit sich bringt, wollen Bundestag und Bundesrat im Zeitraum Juni bis September dieses Jahres einen BStU-Abwicklungsplan beschließen.
Bislang wurde die Existenz der BStU-Behörde an die Geltungsdauer der Überprüfungen von Personen im öffentlichen Dienst geknüpft, die inzwischen verlängert worden ist. Politischer Hintergrund dafür war, dass diese Überprüfungen nicht Aufgabe eines Archives, sondern die einer Behörde zu sein hätten. Es ist offensichtlich widersinnig, dass man einerseits die Möglichkeit für Stasi-Überprüfungen verlängert, zugleich jedoch die BStU abwickeln will.
Würden die BStU-Akten künftig - wie geplant - im Bundesarchiv archiviert, muss befürchtet werden, dass Überprüfungsauskünfte sowie die Akteneinsicht insgesamt politischen Interessen zu folgen haben. Die Führungsspitze des Bundesarchivs als Letztentscheider besteht gegenüber der Bundesregierung aus weisungsgebundenen Beamten, während der jetzige BStU-Bundesbeauftragte unabhängig ist und nicht der Fachaufsicht und der Rechtsaufsicht eines Ressorts untersteht.
Unklar ist auch das Schicksal historischer Forschung zur Staatssicherheit. Die entsprechende BStU-Abteilung wurde inzwischen zu einer „archivwissenschaftlichen Abteilung“ umdeklariert, um die Reste dieser Abteilung für einen Übergang ins Bundesarchiv „passfähig“ zu machen. Damit ist unklar, wo die Stasi-Forschung künftig stattfinden wird. Die derzeitige historische universitäre Forschung deckt dies u.a. wegen der Komplexität des Stasi-Unterlagenbestandes und der Nichtexistenz einer Geheimdienstforschung in Deutschland bisher kaum ab.
Die Stasi-Akten haben insgesamt einen hohen Quellenwert, da sie umfangreich Auskunft über das Wirken der DDR-Geheimpolizei geben. Sie können nicht nur ehemaligen DDR-Bürgern (darunter auch jenen, die nicht direkt verfolgt wurden) helfen, ihre Biographien zu rekonstruieren und so beispielsweise festzustellen, warum ihnen Reisen aus oder in die DDR oder auch Karrierewege versperrt blieben. Diese Unterlagen sollten in einer Sonderbehörde erhalten bleiben und weiter umfassend zugänglich sein. Die Archive in den bisherigen BStU-Außenstellen wiederum sollten archivarisch modernisiert werden.
Der zuständige Kulturausschuss des Bundestages versucht derzeit, den Opfern der DDR-Repression die geplante Abwicklung der BStU-Behörde schmackhaft zu machen, indem man einen „Opferbeauftragten“ installieren will. Es ist in Ordnung, wenn die Opferverbände einen „Opferbeauftragten“ für sinnvoll halten; diese Ankündigung darf aber nicht zu einem Kuhhandel für die Abwicklung der BStU-Behörde führen.
Aufarbeitung ist auch politische Bildung, eine Ausdünnung wäre angesichts wachsender Politikmüdigkeit nicht nur in Ostdeutschland kontraproduktiv. Hinzu kommt, dass die BStU-Behörde inzwischen vor allem im ostmitteleuropäischen, aber auch im asiatischen Ausland „Blaupause“ für den Aufbau vergleichbarer oder ähnlicher Institutionen war. Bei einem Rückbau der BStU hätten junge Demokratien es dort künftig ungleich schwerer.
Anstatt sie zu zerschlagen, rufen wir zur Ertüchtigung der Stasiunterlagen-Behörde und ihrer Außenstellen auf. Geschichte lässt sich nicht abwickeln.
Unterschriften bislang:
Stand Juni 2019
Thomas Auerbach, Jugenddiakon, ehem. BStU-Forschung
Pfr. Andreas Bertram , Königshain, Stellv. Vors. des Bürgerbüro. Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur Berlin, ehemals Arbeitskreis Solidarische Kirche und Gründungsmitglied SDP Leipzig
Stephan Bickhardt, Leipzig, Polizeiseelsorger
Marianne Birthler, Berlin, ehem. Bundesbeauftragte
Heidi Bohley, ehem. Halle Zeit-Geschichten e.V.
Dr.Martin Böttger, Zwickau, Vors. des Martin-Luther- King-Zentrums Werdau
Andreas Bochmann, Chemnitz
Christine Burkhard, Werdau, Martin-Luther-King-Zentrum Werdau
Manfred Eulitz, Flöha
Gisela Freimark, Perleberg
Hans-Peter Freimark, Dokumentationszentrum Perleberg,
Dr. Bastian Fromm, Stockholm
Joachim Goertz, Pfarrer, Berlin (früher AKSK und SDP)
Dr. Udo Grashoff, Halle, Zeit-Geschichten e.V.
Thomas Dahnert, Berlin, Bibliotheksleiter
Christian Dietrich, Klettbach, Pfr., ehem. Landesbeauftragter Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Gilbert Furian, Autor
Gerold Hildebrand, Berlin, Mitarbeiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Ralf Hirsch, Berlin
Dorothea Höck, Erfurt
Eckart Hübener, Rambow, Pfarrer
Almut Ilsen, Berlin, Fotografin und Autorin
Freya Klier, Filmemacherin, Autorin
Kal-Ludwig von Klitzing, ehem. Vor. Des Runden Tisches Frankfurt/Oder
Oliver Kloss, Leipzig, IfM-Archiv
Margitta Kupler, Berlin, ehem. AG Sicherheit
Anne Kupke, Halle, Zeit-Geschichten e.V.
Uwe Lehmann, Berlin, ehem. Arbeitskreis Solidarische Kirche, Mitbegründer von Bündnis 90
Petra Morawe, Berlin, Beiratsmitglied der BStU
Carsten Müller, Werdau, stv. Vorsitzender Martin-Luther-King-Zentrum
Rainer Müller, Neues Forum Leipzig, ehemals Arbeitskreis Gerechtigkeit
Dr. Ehrhart Neubert, Pfarrer und Historiker
Hildigund Neubert, Sts a.D. und ehem. Landesbeauftragte für die Stasi-Aufarbeitung Thüringen
Rudi Pahnke, Pfr., ehem. Mitbegründer des Demokratischen Aufbruch
Christoph Polster, Cottbus, Pfarrer, Verein Aufarbeitung Cottbus e.V.
Ursula Popiolek, Berlin, Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus
Ulrike Poppe, Berlin ehemaligen Landesbauftragte für die Stasi-Aufarbeitung, Brandenburg
Frank Sonntag, Leipzig, Journalist MDR
Utz Rachowski, Reichenbach, Autor
Rüdiger Rosenthal, Berlin, freier Autor
Salli Sallmann, Berlin, Autor
Werner Schulz, ehemal. Mitglied des Europarlamentes
Holger Stark, Klein-Wangelin, Künstler
Detlef W. Stein, Berlin, Bürgerkomitee "15. Januar"
Margarita Stein, OsteuropaZentrum Berlin
Manfred Steinchen, Crimmitschau
Esther-Marie Ullmann-Goertz, Berlin
Barbara Sengewald, Erfurt, Gesellschaft für Zeitgeschichte
Matthias Sengewald, Erfurt, Gesellschaft für Zeitgeschichte
Dr. Rita Sélitrenny, Bürgerkomitee Leipzig
Rolf Schwanitz, Plauen, ehem. Volkskammer- und Bundestagsabg, Staatsmin. a.D., SPD
Susanne Wallmann, Berlin, Kulturmanagerin integral-art.de
H. Johannes Wallmann, Berlin, Komponist
Konrad Weiss, Autor
Thomas Wernicke, Potsdam
Franziska Wolf, Langenbernsdorf/Sachsen
Thilo Weichert, Kiel, Netzwerk Datenschutzexpertise
Katrin Eigenfeld, Kasnevitz
August 2019
Reinhard Klaus, Berlin
Manfred O. Ruge, OB a. D. Erfurt 1990 -2006, Erfurt
Barbara Ruge, Schmuckdesigner, Erfurt
Renate Ellmenreich, Joachimsthal
Pfrin. i.R. , Gründerin von "Demokratie Jetzt" in Hessen
Manfred Kruczek, Potsdam
Liane Plotzitzka, ehemals "Frauen für den Frieden" Leipzig, jetzt Kuratoriumsmitglied der Stiftung Friedliche Revolution
Eberhard Seidel
Jutta Seidel
Bernd Donath, Erfurt
Steffen Gresch, Karlsruhe, Schauspieler, einst Mitbegründer der Arbeitsgruppe Menschenrechte in Leipzig
Hans Jürgen Breitbarth, 16341 Zepernick, in Brandenburg
Ralf Holzapfel, Berlin
Werner Wiemann, Berlin
Margard Wohlfarth, Theaterwissenschaftlerin, Staatsekretärin a.D., Berlin
Michael Wohlfarth, Pfarrer i.R., Erwachsenenbildner, Berlin
Torsten Meyer, Berlin
Dr. Achim Günther, Berlin Gabriel Berger, Berlin Klaus-Dieter Wohlgemuth, Hamburg
Thomas Kilian, Berlin
Vera Ross
Dr. Burkhart Veigel, Berlin
Carl-Wolfgang Holzapfel, Bürgerrechtler u. Ehrenvorsitz. Vereinigung 17. Juni 1953 e.V., Berlin
Dieter Oberländer, Diakon, Erfurt
Bernd Wohlgethan, Dortmund
Jürgen Karwelat, Berliner Geschichtswerkstatt e.V., Berlin
Evelyn Zupke, Hamburg
Margit Miosga, Journalistin Berlin
Dr. Uwe Lehmann-Brauns, Berlin, Ehem. MdA, CDU
Isa-Lorena Messer, Bernau bei Berlin
Hans Schwenke, Stasi-Auflöser, Mitgründer und ehem. Vorsitzender des Bürgerkomitees "15. Januar", Ehem. Vorsitzender des Bund stalinistisch Verfolgter (BSV), Berlin
Siegmar Faust, Autor, Berlin
Wolfgang Rüddenklau, Berlin
Tamara Bauer, Potsdam
Matthias Katze, Erfurt, VOS
Günter Jeschonnek, Regisseur, ehem.AG Staatsbürgerschaft
Monika Luise Richter, Oberteuringen/Bodenseekreis
Frieder Walther, Oberteuringen/Bodenseekreis
Regine Igel, Berlin
Edgar, Nönnig, 04626 Thonhausen, Altenburger Land
Thomas Marten, Berlin
Manfred Buchta
Dietrich Thiem, Doberlug-Kirchhain/Brandenburg
Doris Liebermann, Journalistin
Prof. Hans-Hendrik Grimmling, Maler
Hartmut Richter
Stand: September
Susann Liepe Berlin
Edgar Lamm, Frankfurt am Main
Margit Papke, Schönerlinde
Jürgen Gottschalk, Dresden
Karl Hafen, Frankfurt am Main
Antje Kokel, Wilnsdorf/NRW
Wolfgang Rüddenklau, Berlin
Thomas Koke, Wilnsdorf/NRW
Tom Ernst, Berlin
Claudia Roos, Berlin
Dr. Peter Moeller, Leinfelden-Echterding
Dr. Reinhard Gnauck, Mainz
Edelgard Jeske, Berlin